LiNZ-Zeitgeschichte 9

Stahlstadt im Umbruch. Von den 70er in die 90er Jahre.

Wirtschaftlicher Boom, Arbeitskräftezuzug und das Entstehen neuer Stadtteile.
Eine Zeit, in der die Großindustrie die Linzer Wirtschaft bestimmt. Arbeitsplätze sind im Überfluss vorhanden. Tausende Arbeiter pendeln täglich nach Linz oder ziehen ganz in die Stadt, in die auf grüner Wiese entstandenen Satellitenstädte. Bereits Anfang der 1970er-Jahre arbeiten rund 9.000 jugoslawische Gastarbeiter, vorwiegend im Baugewerbe, um den Arbeitskräftemangel abzufangen.

Modernisierung um jeden Preis – Linz im Rausch des Fortschritts.
Historische Häuser werden zugunsten von Straßen und Funktionsbauten geopfert. Tabula rasa – Hauptsache, es geht wirtschaftlich vorwärts. Infrastruktur wird ausgebaut, vom Bildungs- bis zum Gesundheitswesen, unter anderem entstehen das Brucknerhaus und die Sporthalle. Die Löhne sind hoch, die Kaufkraft stark, der Handel blüht, Einkaufszentren schießen rund um Linz aus dem Boden – in einer Dichte, wie sie sonst nirgendwo in Österreich zu finden ist.

Zwischen Fleiß, Stabilität und verdrängter Vergangenheit.
Die Linzer Wiederaufbau-Generation bestand vorwiegend aus Heimatvertriebenen, zugezogener Landbevölkerung und Alteingesessenen. Ihre zentralen Werte waren Arbeit, Wohnraum, Sicherheit und Stabilität. Qualmende Schlote galten als Symbol für sichere Arbeitsplätze und wachsenden Wohlstand, während Umweltbelastung kaum Beachtung fand. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde nicht aufgearbeitet. Man betrachtete sich vorwiegend als Opfer. Strukturen sowie Denkmuster jener Epoche blieben weiterhin bestehen.

Von der Nachkriegsdisziplin zur kritischen Bürgergesellschaft.
Mit wachsendem Wohlstand vollzieht sich ein Wandel der Werte. Die Menschen werden mündiger, selbstbewusster und beginnen, kritisch zu hinterfragen. Es entstehen Bewegungen, die gegen Umweltzerstörung und Luftverschmutzung protestieren oder für Abrüstung und Frieden einstehen. Die Politik reagiert zögerlich, manchmal halbherzig, manchmal opportunistisch. Junge Politiker, denen alles zu langsam geht, gründen neue Parteien oder versuchen, die alte Generation abzulösen.

Kunst, Klang und Rebellion – Linz entdeckt seine kreative Seite.
Der Umbruch zeigt sich auch kulturell. Mit der Ausstellung „Forum Metall“ an der Donaulände erregt Linz internationales Aufsehen, doch die lokale Bevölkerung ließ dieses Ereignis eher unberührt. Spätestens mit der ersten Linzer Klangwolke wurde in ganz Linz der neue Wind spürbar. Die Musikszene zog vom Rosenstüberl ins Café Landgraf oder ins Elektro Schmid. Bands wie Mollies, Willi Warma oder Superfeucht werden zur Stimme einer rebellischen Jugend. Songs wie „Stahlstadtkinder“ oder „Dicke Luft“ treffen den Nerv einer Generation – laut wird ein Rockhaus gefordert, aus dem schließlich der Posthof entsteht.

Aufstehen für Freiräume und neue Strukturen.
Aus Protest gegen Abrissbirnen, Zubetonierung und Kommerzialisierung um jeden Preis gründen junge Querdenker die Stadtwerkstatt – ein Ort für alle, die sonst in Linz keinen Platz finden. Einige Jahre später entsteht ergänzend die KAPU.

Wachsendes politisches Bewusstsein.
In den 1980er-Jahren formierte sich in Österreich – wie in vielen Teilen Europas – eine breite Friedensbewegung. Ihren symbolischen Höhepunkt fand sie in Linz, wo sich rund 300 österreichische Friedensorganisationen zusammenschlossen und gemeinsam den „Linzer Appell“ verabschiedeten. Dieser Appell forderte die Bundesregierung auf, sich entschieden gegen die Stationierung nuklearer Langstreckenraketen in Europa auszusprechen und sich aktiv für ein atomwaffenfreies Europa einzusetzen.

Vom industriellen Stolz zur Krise – ein wirtschaftlicher Wendepunkt.
Zur selben Zeit geriet die VÖEST durch die weltweite Stahlkrise und Missmanagement in eine enorme Schieflage. Zur Kompensation versuchte man sich in neuen Geschäftsfeldern, wie zum Beispiel im Kanonenbau, deren Produkte jedoch illegal in kriegsführenden Ländern landeten. Hinzu kamen die Skandale der Tochtergesellschaft Intertrading, bei der durch riskante Ölgeschäfte immense Summen verloren gingen. Auch die Chemie-Linz-Tochter MERX-Handels-GmbH geriet durch die gleichen Spekulationen in wirtschaftliche Turbulenzen. Die Zerschlagung der Verstaatlichten Industrie und die schrittweise Privatisierung waren trotz großer Proteste der Gewerkschaften nicht aufzuhalten. 1988 arbeiteten in Linz noch 27.000 Metaller, zehn Jahre später war nur mehr ein Drittel davon übrig.

Der Wandel einer Stadt.
Aufschwung und Krise, Hoffnung und Ernüchterung – all das lag in dieser Zeit dicht beieinander und prägte Linz nachhaltig. Der Imagewandel von „In Linz da stinkts“ zu „In Linz beginnts“ war unaufhaltsam.